Sommerabend auf der Alten Liebe

Ein verbales Erinnerungsfoto in Zeiten von Corona:

Schön ist anders. Nein, ein schönes Schiff ist die Alte Liebe nicht. Eher ein in die Jahre gekommener Kahn. Ramponiert und runderneuert. Nicht aufgemotzt, nur instand gesetzt. So dass das Flair der Vergangenheit, die sie schon auf dem Buckel hat und die vielen Runzeln, immer noch Ausstrahlung haben. So, dass hier sicherlich in irgendeiner Ecke der Klabautermann sitzt und nach dem Rechten sieht. Augenzwinkernd – auf seine Weise.

Die Schiffstreppe – eine Zumutung. Bewundernswert, wie die Kellner da rauf und runter tanzen, meistens mit gut gefüllten Tellern und frisch gezapften Bieren. Auch wenn‘s schaukelt. Und das tut es von Zeit zu Zeit. Ganz sachte. Manche Wellenausläufer eines ewig langen Lastkahns oder eines Ausflugsdampfers schaffen es bis hierher.

Ein Sommerabend hier berührt das Herz. Wenn ich oben am Heck sitze und mich umschaue. Rechts der Stößensee, gegenüber weiter hinten die Scharfe Lanke und links Schildhorn. Dazwischen die Havel. Ziemlich breit ist sie hier, wieder in Freiheit, nachdem sie sich aus dem Kanal heraus gezwängt hat. Die Havel mit ihrem modrig riechenden Wasser, dazu die Ufer mit den tief hängenden Weidenzweigen, das Schilf mit den Verstecken der Wasservögel, die Badestrände.

Der Tag kommt langsam zur Ruhe und das Wasser mit ihm. Die Wellenmacher, die meistens auch Krachmacher sind, verschwinden nach und nach und dann kommen die Leisen. Die Ruderer mit den kraftvoll-rhythmischen Bewegungen, oft sind es acht, die Ruderblätter perfekt synchron. Die Standup-Paddler, schwarz – im Gegenlicht nur die Konturen erkennbar. Manche sind mutig, trauen sich quer rüber zum anderen Ufer mitten durch die sonnenflirrenden Wasser-Reflexionen. Und die Segler, die durch die Abendbrise gleiten. Entschleunigt. Sehnsuchtsvoll.

Gedämpfte Verkehrsgeräusche erinnern daran, dass ich hier doch nicht ganz aus der Welt gefallen bin. Auch die Leuchttürme signalisieren Zivilisation. Wenn die Dämmerung einsetzt, blinken sie grün und rot, rechts und links – zeigen der Schifffahrt den Weg in die Stadt.

Im Hochsommer lässt sich die Sonne viel Zeit, bis sie irgendwo hinter Staaken verschwindet und der Himmel hat es nicht eilig, von hell- nach mittelblau zu wechseln. Die Venus kommt trotzdem immer rechtzeitig.

Das alles sieht die Alte Liebe jeden Tag. Seit Jahrzehnten. Vielleicht glaubt sie, dass es immer so bleibt. Wenigstens so lange, wie der Klabautermann bei ihr ist.

Christiane Tilse