Wenn in Finnland um Mitternacht die Sonne im Meer versinkt

Meer Busen wagen beim Sommersegeln im Bottnischen Meer

Im Juli habe ich meinen Jugendfreund Dirk zwei Wochen bei seiner mehrmonatigen Ostsee-Umrundung begleitet. Auf seine 36-Fuß Yacht stieg ich in Uusikaupunki zu. Es hat lange gedauert, bis ich mir den Namen dieser Kleinstadt 70 Kilometer nordwestlich von Turku merken konnte. Er bedeutet Neustadt, ist aber typisch für die finnische Sprache. Die enthält viele verniedlichende i, lässt einen aber meist im Dunklen über die Bedeutung der Worte. In …punki ging ich mittags an Bord und es ging gleich raus aufs Meer.

Später beschlossen wir, die Nacht in den Schären zu ankern. Auf der Karte oder besser gesagt dem Plotter schauten wir nur nach Wassertiefe und windgeschützter Lage. So waren wir sehr irritiert, als wir später in unser vermeintlichen Traumbucht ausgerechnet drei der fünf finnischen Atomkraftwerke samt Atommülllager vorfanden, darunter mit Olkiluoto-3 Europas einzigen AKW-Neubau der letzten Jahrzehnte. Nach jahrelanger Bauverzögerung und Vervierfachung der Kosten war der Reaktor erst wenige Wochen zuvor ans Netz gegangen.

Seit dem Frühstück mit Blick auf die Atomschleudern hatte ich ein gestörtes Verhältnis zur finnischen Küste: Wir segelten zwar stundenlang – leider ging es oft gegenan – an menschenleeren Ufern vorbei, die mit Schären, endlosen Wäldern und gelegentlichen Windparks gesegnet waren. An unserem verkehrsreichsten Tag begegneten uns ganze sieben andere Segelboote, darunter drei deutsche. Doch näherten wir uns von See aus einer Stadt, waren zunächst Schornsteine von Papierfabriken, Kraftwerken oder Stahlschmelzen zu sehen. Kein schöner Anblick. Die am Ufer aufragende Industrie verdeckte stets die dahinter liegenden Städte. Die bestanden meist aus traditionellen zweistöckigen (Holz-)Häusern. So bedurfte es Geduld, bis die Schönheit der Küstenstädte in ihren Zentren sichtbar wurde. Die Yachthäfen lagen stets geschützt hinter Inselketten, so dass es oft lange dauerte, bis wir endlich festmachen konnten. Zum Standard gehören Hafensauna und Heckbojen, weil für Pfähle die Untergründe zu felsig sind.

Die von der Eiszeit gezeichnete Küste, die sich 1 cm pro Jahr anhebt, ist eine navigatorische Herausforderung, die uns entsprechende Routinen entwickeln ließ. Umso größer war der Schock, als wir aus dem Hafen von Kristinestad motorend fast am offenen Meer angekommen waren und mit gut 4 Knoten Geschwindigkeit gegen einen Stein unter Wasser knallten. Zum Glück hielten die Kielbolzen und es gab auch sonst kein Leck, obwohl beim Aufprall im Schnapsregal eine Flasche zersprang. Laut Karte sollte die Wassertiefe 3 bis 6 Meter betragen. Später sagte uns ein finnischer Segler, Wassertiefen von weniger als 10 Meter seien unbedingt zu vermeiden, auf die Karten sei kein Verlass. Die Steine würden vom Eis bewegt, das im Winter den bottnischen Meerbusen bedeckt. Da das Bottnische Meer im Nordteil aus Brackwasser besteht und im Unterschied zu anderen Regionen der Ostsee nicht salzig ist, ist das Wasser trübe und schon bei geringen Tiefen der Grund nicht zu sehen.

Im Juli brachte uns der finnische Hochsommer Hitze mit viel Sonne und Flaute, aber auch spektakuläre Sonnenuntergänge – gegen Mitternacht. Die verbrachten wir oft segelnd, dümpelnd oder motorend auf See oder ankernd in einer schönen Bucht, fortan ohne Atomkraftwerke. Weil es nie richtig dunkel wurde, geriet unsere innere Uhr aus dem Lot. Wir standen immer später auf und segelten immer länger in die hellen Nächte rein. In Raahe begrüßte uns ein freundlicher Hafenmeister sogar um 2 Uhr morgens am Steg.

Nach Stationen in Tahkoluoto, Kristinestad, Vaasa, Kokkula und einigen Buchten mit fast zungenbrecherischen Namen ging es gegen Ende unseres Törns auf der finnischen Seite des salzlosen Meerbusens noch zur Insel Hailuoto. Sie liegt vor der nördlichen Großstadt Oulu, der Heimat von Nokia (Ältere dürften sich an die Firma erinnern…). Im Hafen von Marjaniemi rund 170 Kilometer vom Polarkreis entfernt begrüßten uns plötzlich 30 Nackte auf der Mole. Dort fand gerade das Battre Folk Festival statt und für Besucher gab es vier Saunen auf der Hafenmole.

Liegen dort sonst nur eine handvoll Boote im Hafen, gab es jetzt rund 40 über die toppen geflaggte Yachten. In ihren Cockpits gaben sich Festivalbesucher fröhlich dem Alkohol hin. Von einem SUP-Board aus wurden wir sogleich nach deutschem Bier gefragt. Hatte ich bisher im Norden des Landes vor allem Menschen vermisst und wirkten selbst Gegenden voller Wochendhäuser („Mökki“) trotz Feriensaison unbewohnt, war die Stimmung in dem mit mehr als tausend Personen gefüllten Hafen, als wären wir zu einem Straßenfest in Berlin gesegelt.

Am Morgen machten wir uns ausnahmsweise früh auf den Weg quer über den Meerbusen in die 70 Seemeilen entfernte schwedische Hafenstadt Lulea, den nördlichsten Punkt meiner Reise. Bei anfänglich starkem Wind kamen wir bei kabbeliger See mit 7 Knoten zunächst gut voran, später flaute es ab. Am Abend hatten wir gerade im neuen Stadthafen festgemacht, als das vorhergesagte Unwetter losging. Am übernächsten Tag kehrte ich nach Berlin zurück und meine Ablösung begleitete Dirk ein Stück die schwedische Ostküsten runter. Sven Hansen