Fang den Wind!

Der etwas andere Regattabericht

In meiner Kindheit in Myanmar, dem früheren Birma, habe ich oft Figuren in Zeichentrickfilmen gesehen, die Schmetterlinge mit einem Netz an einem Stock fingen. Jetzt konnte ich auf der Unterhavel in Berlin Ähnliches beobachten. Nur waren es dort keine Kinder, sondern Erwachsene. Sie schwingen fünf Fuß lange Alurohre, so genannte Spinnakerbäume, die an beiden Enden mit Clips versehen sind, vom Vordeck eines Bootes aus. Statt Schmetterlinge fangen sie mit dem Alurohr, mit dem ein großes geführt wird, Luft ein. Ja, Luft, die für das bloße Auge unsichtbar ist. Und ich gehöre auf dem Vordeck eines H-Bootes bei dieser Regatta zu denen, die helfen, möglichst viel Wind einzufangen.

Am 20. und 21. Mai haben wir bei einer H-Boot-Rangelistenregatta bei strahlendem Sonnenschein versucht, auf der Havel den Wind einzufangen. Der diktierte jeden unserer Schritte auf der Suche nach seinem Aufenthaltsort und seinen wechselnden Eigenschaften bei der Regatta, zu der insgesamt zehn Boote zu fünf Wettfahrten antrate.

Als Vorschoter bestand mein Hauptjob darin, beim Setzen und Bergen des Spinnakers mit dem Alurohr zu hantieren und beim Kreuzen in einer Wende die Fock in Kooperation mit dem anderen Vorschoter auf die neue Seite zu ziehen und optimal einzustellen.

An Bord waren wir drei zur Verständigung auf zwei Sprachen angewiesen, denn nur eine Person sprach sowohl Englisch wie Deutsch, während ich nur Englisch, aber kein Deutsch spreche und der andere Vorschoter sich mit Englisch schwer tut. Im Rennen beschränkte sich unser Wortschatz deshalb nur auf die allerwichtigsten Stichworte. Es gab schlicht keine Zeit für Übersetzungen oder lange Erklärungen. So ertönte etwa bei Annäherung an die Luftonne einfach nur der Ruf „Boom, boom!“

Normalerweise würde ich „Boom, boom!“ vielleicht mit James Bond 007 in Verbindung bringen. Aber für mich war es die so knappe wie klare Ansage, schnell aufs Vordeck zu gehen. Ich kniete neben dem Mast, griff den Spibaum („boom“) von der Unterseite des Großbaums und machte mich zum Bug auf, griff die grüne Schot, das am Spinnaker befestigt ist, hakte sie in den „Boom“ und befestigte dann das andere Ende des nach vorn gedrückten Spibaums an einen Metallring etwa in fünf Fuß Höhe am Mast. Während von hinten schon der Spinnaker gesetzt wurde, zog ich an der grünen Schot und in wenigen Sekunden war der ganze Vorgang abgeschlossen, was die große Bedeutung von Schnelligkeit und Präzision unterstreicht.

Erstaunlicherweise lagen wir nach dem ersten Tag mit drei Wettfahrten sogar an erster Stelle. Das lag aber nur daran, dass die favorisierte Mannschaft, die alle Wettfahrten dominierte und stets als erste durchs Ziel ging, beim ersten Rennen einen Frühstart hatten und so ohne Streicher zunächst noch nicht in Führung gingen. Mit unserem erneuten zweiten Platz in der vierten Wettfahrt konnten wir aber wieder sehr zufrieden sein, während wir im letzten Rennen patzten. Aber immerhin reichte es insgesamt noch für den dritten Platz.

Ehrlich gesagt erfüllte mich der Beifall bei der Preisverleihung, als der Wettfahrtleiter unser Team aufrief, mit Freude und Stolz. Jeder von unserer Mannschaft bekam ein Glas mit dem eingravierten H-Boot-Symbol. Es war meine erste Auszeichnung bei einer Regatta überhaupt und wird mir ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Zurzeit fühle ich mich angesichts des Militärregimes in meiner Heimat staatenlos und weiß nicht, wohin mich meine Reise noch führen wird. Ich bin jedoch sicher, dass dieser Preis in meiner Nähe bleiben wird. Derzeit hat er einen prominenten Platz am Kopfende meines Bettes. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, gibt er mir Kraft und stärkt meine Entschlossenheit.

Seit meiner Ankunft in Deutschland sind eineinhalb Jahre vergangenen. Vor mehr mehr als einem Jahr bin ich das erste Mal auf der Havel mitgesegelt. In Myanmar, meiner Heimat in Südostasien, ist Segeln kein weit verbreiteter Sport. Für die normale Bevölkerung ist es eine sehr weit entfernte Beschäftigung. Meine Segelreise hat gerade erst begonnen, ich habe noch nicht oft im Boot gesessen. Trotzdem ist Segeln inzwischen ein fester Bestandteil meines Lebens hier. Ich habe gelernt zu beurteilen, ob der Wind zum Segeln ausreicht. Ich beobachte die Wolken, das Wasser und erkenne die Böen. Ich verstehe den Unterschied zwischen günstigem und ungünstigem Wind und weiß, was es bedeutet, zu kreuzen und Großsegel und Fock zu balancieren.

Segeln mag wie der Antrieb eines Bootes auf dem Wasser erscheinen. Aber in meinem Kopf fühlt es sich an, als würde ich in der Luft schweben. In Wahrheit ist die Grenze zwischen dem Schweben auf dem Wasser und dem Schweben in der Luft fließend. Anders ausgedrückt: Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass Segeln die Kunst verkörpert, das schwer fassbare Wesen des Windes einzufangen. Kyaw Soe